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Vom reinen Coden zum Mitdenken. KI in der Ausbildung
Warum Nachwuchsförderung heute wichtiger ist denn je und was sich für Entwickler:innen wirklich ändert.
Ich arbeite seit fast 27 Jahren in der Softwareentwicklung. In dieser Zeit war ich nicht nur Entwickler, sondern vor allem auch Ausbilder, Mentor, Teamleiter und Architekt. Mein Blick auf diesen Beruf ist deshalb weniger vom nächsten Framework geprägt als von den Menschen, die ich über Jahre begleiten durfte.
Was ich mache, mache ich nicht erst seit gestern. Vieles davon kommt schon aus meinem Mathematikstudium, aus Erfahrung und aus Beobachtung. KI macht es heute nur sichtbarer.
Warum ich diesen Artikel schreibe
Ich erlebe aktuell viele junge Entwickler:innen, Auszubildende und Studierende, die verunsichert sind. Nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil sich die Anforderungen verändern.
Die Frage lautet nicht mehr: “Kann ich gut und sauber coden?” ,sondern immer öfter “Was ist eigentlich mein Wert, wenn KI den Code für mich schreibt?”
Meine Antwort als Ausbilder und Mentor ist klar: “Dein Wert lag nie im Tippen! Er lag immer im Denken!” Und daran wird auch KI nichts ändern. Um das zu zeigen, schreibe ich diesen Text.
Credo: Mitdenken, neugierig bleiben, lernen wollen
Dabei predige ich grundsätzlich keine Weisheiten von oben herab. Ich will vielmehr dazu ermutigen, mitzudenken und dazuzulernen. Ich arbeite seit fast 30 Jahren in diesem Beruf und auch ich lerne stetig dazu, heute sogar mehr denn je.
Nicht nur, weil ich muss, sondern weil ich neugierig geblieben bin und vermutlich auch wegen des Dopamins, das mir mein Gehirn bei einer erfolgreichen Problemlösung so großzügig spendiert. Wenn man so will, bin ich der lebende Beweis dafür, dass Lernen keine Alters-, sondern ein Haltungsfrage ist.
Skills, die bisher wichtig waren
Lange Zeit wurden Entwickler:innen vor allem daran gemessen, ob sie:
- Syntax beherrschen,
- Frameworks kennen,
- Algorithmen und Pattern korrekt umsetzen,
- schnell produktiv sind.
Das hatte seine Berechtigung. Denn diese Fertigkeiten waren knapp und damit wertvoll. Heute ändert sich das, denn es sind zunehmend andere Fähigkeiten gefragt.
Meine Schwerpunkte als Ausbilder
Unabhängig von Trends habe ich mich als Ausbilder auch vor dem Einzug von KI schon immer auf folgende Schwerpunkte konzentriert:
Autodidaktisches Lernen oder sich selbst Wissen aneignen können
Ich gebe meinen Azubis (oder Junior Kollegen, Praktikanten) bewusst nicht immer sofort Antworten. Stattdessen stelle ich Fragen wie: „Wo würdest du nachschlagen?“ oder „Wie würdest du dir das selbst erarbeiten?“
Ob Dokumentation, Tutorials oder Beispielprojekte: sie lernen früh, dass Wissen nicht geliefert wird, sondern erarbeitet werden muss. Genau diese Fähigkeit trägt sie später durch jede neue Technologie.
Problemlösungsfähigkeit – Probleme selbstständig planen und umsetzen
Statt sie nur Tickets abarbeiten zu lassen, lade ich meine Azubis ein, kleinere Projekte von Anfang bis Ende selbst zu planen und durchzuführen und frage sie einfach: Was ist dein Ziel? Welche Schritte brauchst du? Wo verstecken sich Risiken? Ich greife auch nicht sofort ein, wenn etwas holpert. Denn Fehler gehören nicht nur dazu, sie sind selbst ganz hervorragende Lehrmeister. Wichtig ist, dass meine Azubis lernen, Probleme strukturiert zu lösen, statt nur Code zu schreiben.
Kommunikationsfähigkeit – Pair Programming, Reviews, Meetings moderieren
Ich lasse meine Azubis bewusst Pair Programming praktizieren, Code Reviews erklären und auch Teammeetings moderieren. Nicht, weil sie das schon alles können, sondern weil sie beim Erklären merken, ob sie es selbst wirklich verstanden haben.
Und: Softwareentwicklung ist Teamarbeit. Wer nicht kommunizieren kann, wird langfristig scheitern – egal wie gut der Code ist.
Pragmatischer Umgang mit Technologie – Nutzen vor Hype
Neue Technologien sind immer spannend. Dennoch sollten wir fragen: „Warum genau brauchen wir das?“
Azubis lernen bei mir, Entscheidungen zu begründen, technisch wie fachlich. Nicht jedes neue Framework ist automatisch eine gute Idee, der Nutzen für das Projekt steht über persönlicher Begeisterung.
Anpassungsfähigkeit – verschiedene Teams und Technologien kennenlernen
Bei Micromata fördern wir in der Ausbildung bewusst Team- und Kontextwechsel. Unterschiedliche Codebases, unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Arbeitsweisen.
Das ist anstrengend, doch es schult genau das, was heute entscheidend ist: sich schnell in neue Situationen einarbeiten zu können und nicht an der persönlichen Komfortzone festzuhalten.
Wie KI die Anforderungen verändert
KI übernimmt heute vieles, was früher mühsam war:
- Syntax,
- Boilerplate,
- Tests,
- Standardlösungen,
- Dokumentation.
Das bedeutet: Diese Fähigkeiten verlieren an Knappheit und damit an Wert.
Aber Vorsicht: Geschwindigkeit ist nicht gleich Qualität. KI macht uns zwar schneller (Stichwort “Vibe Coding”), aber eben auch schneller darin, technische Schulden zu produzieren, wenn wir den Überblick verlieren. Der Fokus verschiebt sich also:
von vorher: “Was bauen wir?” zu nachher: “Wie wird es gut?”
Neue Skills, die in fünf Jahren entscheidend sein werden
Systemdenken:
Ich lehre meine Azubis Kausalitäten zu verstehen, Seiteneffekte zu erkennen und Wechselwirkungen vorausschauend zu steuern. Sie lernen, nicht nur Dateien oder Applikationen zu sehen, sondern ganze Systeme zu durchschauen.
Spezifikationsentwicklung (Spec Driven Development):
Sie erwerben außerdem die Fähigkeit, klare und präzise Anforderungen zu formulieren. Eine gute Spec ist schließlich die Grundlage für guten Code, auch im AI Driven Development. Wir schreiben quasi das „Grundgesetz“ für die Software, die Spec ist die Schienenführung, damit der KI-Zug nicht entgleisen kann.
Integrationsfähigkeiten:
Und es geht natürlich auch darum, den KI-Code in bestehende Systeme zu integrieren, zu betreiben und abzusichern. Das erfordert Kontextwissen und Erfahrung, die eine KI oft nicht von sich aus hat und für die es menschliche Expertise braucht.
Soft Skills und kritisches Denken erwünscht!
Kritisches Denken (Metakognition):
Im Umgang mit KI ist es ungemein wichtig, KI-Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, sprich deren Qualität, Sicherheit und Architektur bewerten zu können. Meine Azubis lernen also auch, wo sie der KI vertrauen dürfen und wo sie sie kontrollieren müssen.
Kommunikation:
Nicht nur guter Code, auch gute Kommunikation ist ein elementarer Schlüssel zum Erfolg. Es ist wichtig, sowohl im Entwicklungsteam als auch mit dem Fachbereich und anderen Stakeholdern klar zu sprechen. Missverständnisse in den Anforderungen können sonst alle Seiten teuer zu stehen kommen. Aus diesem Grund sind auch kommunikative Fertigkeiten und soziale Intelligenz wesentliche Faktoren in der Ausbildung..
Lernbereitschaft:
Wir lernen ein Leben lang. Das deutsche Sprichwort “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr” ist darum nicht nur unwahr, sondern auch riskant. Denn natürlich geht es darum, geistig rege zu bleiben und Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrzunehmen. Dafür brauchen wir Mut, Neugier und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Genau das versuche ich zu vermitteln: Lernen als Teil der Arbeit zu verstehen.
Herausforderungen für Ausbilder und Mentoren
Ich mache mir ständig Gedanken, wie ich den Nachwuchs richtig vorbereite. Manchmal vergleiche ich das mit meinen eigenen Söhnen, als sie noch klein waren: Wann lasse ich sie Handys und Computer nutzen, ohne dass sie abhängig von Technik (und anderen Gefahren) werden?
Die gleiche Frage gilt für KI:
- Wann ist sie konstruktiv?
- Wann wird sie zur Krücke?
- Wie halten wir die Balance?
Dazu nutze ich gerne das Bild von Iron Man: Der Anzug (die KI) verleiht Superkräfte und Geschwindigkeit. Aber es kommt auch auf den Menschen an, der darin steckt (Tony Stark), der den Anzug mit Kompetenz, Erfahrung und Verantwortungsgefühl zu führen weiß. Ohne einen guten “Piloten” ist der Anzug nur eine ungesteuerte Waffe. Wir müssen unsere Azubis also zu Piloten ausbilden, nicht zu Passagieren. Im Zeitalter von KI bedeutet das:
- neue Lehrpläne,
- neue Trainingsformate,
- Fokus nicht nur auf Technik, sondern auch auf Soft Skills,
- eine Kultur des lebenslangen Lernens.
Warum unser Weg sich auszahlt
In unserem so genannten „Micromata 5.0“ Model arbeiten wir selbstverantwortlich, talent getrieben, ohne klassische Hierarchien. Jeder und jede trägt Verantwortung für sein oder ihr Handeln und unseren gemeinsamen Erfolg. Das ist oft anstrengend, aber im Zeitalter der KI unser größter Wettbewerbsvorteil. Unsere Struktur fördert genau das, was jetzt ökonomisch wertvoll wird:
- Eigenverantwortung statt Abarbeiten: Wer selbst entscheidet, lernt Systeme ganzheitlich zu verstehen, nicht nur deren Syntax.
- Denken vor Titeln: Bei uns zählt das bessere Argument und die smartere Lösung, nicht etwa Titel oder Positionen
- Lernen als Kultur: Da jede und jeder selbst entscheidet, wie er oder sie am effektivsten und sinnstiftendsten arbeitet, ist lebenslanges Lernen von innen heraus motiviert und nicht verordnet.
Für uns bedeutet das bei Einstellungen: Wir suchen keine Befehlsempfänger:innen. Wir suchen Mitdenker:innen, Macher:innen, ganze Menschen.
Dieser Weg mag nicht immer der leichteste sein, doch bin ich überzeugt: er ist die Zukunft. Denn Entwickler:innen, die es gewohnt sind, Verantwortung zu übernehmen und dann auch zu tragen, werden, nicht zuletzt dank KI, von Programmierer:innen zu Softwarearchitekt:innen.
Fazit
KI verändert unseren Beruf operativ, aber nicht seinen Kern. Wir werden ab sofort:
- weniger tippen, mehr miteinander reden,
- mehr denken, weniger auswendig wissen,
- mehr verstehen.
Und ehrlich gesagt: War das nicht schon immer das Ziel guter Ausbildung?





