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Wie Spec Driven Development mein Vibe Coding revolutioniert
Ich bin jetzt seit vielen Jahren in der Softwareentwicklung unterwegs und dachte eigentlich, ich hätte schon alles gesehen: Wasserfall, Scrum, Kanban, agil, top-down, hybrid, das komplette Programm. Ob Legacy-Projekte, chaotische Greenfields, Microservice-Friedhöfe, GitOps oder „Wir-haben-alles-im-Griff“-Illusionen … ich kenne sie alle.
Doch was Vibe Coding und Spec Driven Development (SDD) in jüngster Zeit mit meinem Gehirn angestellt haben, war … eine Mischung aus Erleuchtung, existenzieller Krise, Produktivitätsschock und WTF-Momenten. Und ja, das klingt dramatisch, ist aber genau so gewesen.
Als KI plötzlich vom Werkzeug zum Partner wurde
Wenn du in der Softwareentwicklung arbeitest, kennst du diese Momente:
- Dir wird ein 20 Jahre alter C-Code auf den Tisch gelegt: 1200 Zeilen, keine Kommentare, Autor in Rente.
- Du sollst SAP-Logik nach Java Spring Boot migrieren, doch der einzige, der wirklich weiß, wie das funktioniert, ist der Gott des ABAP himself. Und der antwortet heutzutage nicht mehr auf Tickets.
- Oder Visual Basic: Tausende Zeilen. Irgendwo ein Bug. Irgendwo. Viel Spaß.
Und dann all die „modernen“ Fullstack-Projekte: Kubernetes, Neo4j, Kafka, Microservices, Azure, AWS, GitOps, Terraform … Und das erste, was du im neuen Team hörst: „Keine Sorge! Das Meiste davon ist mehr oder weniger aktuell dokumentiert!“ Ja… genau.
Kurz: Softwareentwicklung als Chaos mit Hoffnung.
Als dann ChatGPT Ende 2022 erschien, war ich sofort dabei. Ich habe experimentiert wie ein Kind, das zum ersten Mal die grundlegenden Gesetze der Physik entdeckt und experimentell für sich ergründet. Die Ergebnisse waren … sagen wir mal: von kreativer Unbrauchbarkeit bis hin zu halben Wundern war alles dabei. Abgebrochene Antworten, halbe Codeblöcke – you know the pain.
Dann wurde es besser. Denn dann kam Github Copilot. Und dann Claude Code. Und plötzlich hatte ich kein Werkzeug mehr, ich hatte einen Partner. Vor allem für Dinge, die viele Entwickler:innen so hassen: Unitests, Dokumentation, User Stories, Architektur sauber aufschreiben und so. Alles dopamin-bremsende Tätigkeiten.
Und gleichzeitig wurde meine Arbeit anstrengender, weil ich fortan nicht nur Code schreiben, sondern auch die KI selbst verstehen, challengen und kontrollieren muss.
Zauber (und Tücke) des Vibe Codings
… oder: Wie ich lernte, die Vibes zu lieben – und zu fürchten.
Vibe Coding bedeutet: Du tippst in natürlicher Sprache ins Befehlfeld rein, was du willst, und die KI liefert dir ein komplettes Feature. Wie ein genialer, leicht überdrehter Kollege, der permanent im Flow ist.
- „Mach mir eine React-Komponente mit Login.“ → Fertig
- „Baue Pagination.“ → Ebenfalls fertig.
- „Schreib mir eine API, die …“ → Already done, Bro.
Es fühlt sich an wie Magie. Man ist produktiv wie auf Steroiden. Und ja, es ist ein Rausch.
Aber: Dieser Rausch kommt mit Nebenwirkungen. Denn die KI trifft Entscheidungen. Und zwar viele. Und das schnell. Und du merkst manchmal erst Wochen später:
Moment mal, warum eigentlich diese DB-Struktur?
- Und warum fehlt hier die Validierung? Ich habe dir doch tausendmal gesagt, dass wir das brauchen!
- Außerdem: Warum benutzt die Komponente plötzlich einen Button aus 2019?
- Und warum ändert sie einfach mein Architektur-Pattern?
- S****e, ich habe heute 50 € für nix ausgegeben.
Es ist, als würde dein chaotischer Flow-Kollege durch die komplette Codebase pflügen – nur ohne Commit-Messages. Und ja: Vibe Coding baut dir schnell etwas, das „läuft“. Aber: Es ist nicht unbedingt das, was du in drei Monaten noch maintainen willst.
Dem Nerd mal Struktur geben: Spec Driven Development
Nach mehreren Wochen im High-Speed-Vibe-Modus war ich am Limit. Ich brauchte Struktur. Etwas, das verhindert, dass ich am Ende einen Frankenstein aus AI-Schnipseln erschaffen haben werde, der schlicht nicht mehr zu managen ist.
Dann bin ich über Spec Driven Development gestolpert. SDD sagt im Grunde: „Bevor du anfängst zu coden, schreib. die. Spezifikation!“
Den passenden Partner dafür gibt es zum Glück ja auch schon: Claude Code. Im Plan Mode von Claude Code erstellt die KI zunächst einen detaillierten Umsetzungsplan, bevor auch nur eine Zeile Code generiert wird. Das sorgt von Anfang an für klare Strukturen, Transparenz und Übersicht.
Und das Verrückte: Es funktioniert. Eine gute Spec ist klar, menschlich verständlich und enthält:
- Ziel,
- Anforderungen,
- Edge Cases,
- Constraints,
- User Story,
- API-Verhalten,
- Plattformregeln.
SDD ist also wie die Schienenführung für deine KI: Du sagst ihr nicht nur, was du brauchst, sondern auch, warum du es brauchst und welche Anforderungen berücksichtigt werden müssen. Dadurch entsteht ein KI-Workflow, der:
- sauberer,
- reproduzierbarer,
- strukturierter und
- weniger fehleranfällig ist.
Und das Beste: Die Spec wird deine lebende Dokumentation.
Mein neuer Workflow mit SDD und Vibe Coding
Ich arbeite aktuell an einer Angular-1.x → React Migration. Ohne KI ein totaler Albtraum:
- alte Codebase,
- keine Tests,
- keine Dokumentation,
- keine Anforderungen,
- Business-Logik im UI, gespickt mit hunderten Sonderlogiken.
Der klassische Enterprise-Legacy-Endgegner also.
Und genau hier glänzt die Kombination aus SDD und Claude Code!
Phase 1: Constitution & Context
Mein „Grundgesetz“ fürs Projekt:
- React 19, TypeScript (TS) 5.8, Vite 6,
- Mock-Backend mit Express + TS,
- Function Components only,
- 350 Zeilen pro Datei maximal,
- Jest + Playwright,
- React Aria,
- Klare Architektur-Patterns.
Phase 2: Specification
Beispielhafte migrierte Feature-Anforderung:
Das ist kurz, klar, verständlich und die KI hat alles, was sie braucht.
Phase 3: Spec erstellen und verfeinern
SpecKit generiert automatisch eine erste Spec (inkl. User Stories, Testszenarien, Risiken, Architekturhinweisen). Ich prüfe, ergänze, verfeinere – fertig.
Phase 4: Planning
SpecKit erzeugt einen vollständigen Implementierungsplan:
- Technologie-Stack,
- Architekturentwurf,
- Datei- und Ordnerstrukturen,
- API-Contracts,
- Migrationsstrategie,
- Risiken + Mitigations.
All das gestochen scharf, fokussiert und vollständig. Ein Traum.
Phase 5: Task erstellen
Automatisch generierte Tasks:
- klare IDs,
- klare Dateipfade,
- story-basierte Gruppierung,
- parallelisierbare Schritte.
Extrem angenehm, finde ich. Projektmanagement in a nutshell.
Phase 6: Umsetzung im Vibe Coding
Jetzt kommt der spaßige Teil:
/speckit.implement Phase 1
Ich sage Claude: „Implementiere Tasks T001–T00X …“
Ich mache selbst : Review → Test → Commit → Weiter.
Ich bleibe fokussiert, die KI bleibt in ihren Leitplanken, das Projekt behält Struktur.
Phase 7: Debugging oder der 15-Minuten-Bugfix
Fehler im Testsystem:
RangeError: Invalid array length
Früher hieß das: 3 Stunden Logging, Kaffee-Overdose, Verzweiflung.
Jetzt heißt es:
- Bug beschreiben,
- die KI ergänzt präzise Debug-Logs,
- findet die Ursache: Duplicate IDs
- und fixt sie: ID-Schema angepasst,
- Logs entfernt,
- fertig.
Von Stunden auf 15 Minuten. So geht Beschleunigung!
Mein Aha-Moment: Struktur ist ein echter Turbo!
Weniger Refactoring, mehr Klarheit, stabilere Architektur: Vibe Coding ist pure Geschwindigkeit. Doch damit es uns nicht aus der Kurve trägt, braucht es auch Struktur und Ordnung:
- eine lückenlose Dokumentation,
- eine konsistente Architektur,
- klare Entscheidungen,
- weniger Bugs (meistens 😅).
Eigentlich ist es ziemlich genau wie bei Iron Man: Es ist sein Anzug, der ihm Superkräfte verleiht. Doch es kommt auch auf den Menschen an, der darin steckt: Tony Stark, der diesen Anzug mit Kompetenz, Erfahrung und Verantwortungsgefühl zu tragen weiß, um ihn für etwas Gutes nutzen zu können. Apropos gut: Ich fand Iron Man immer besser als Superman. Auch das muss endlich mal gesagt sein.
Fazit
Ich bin Pragmatiker. Ich bin Entwickler. Ich bin nerdig-chaotisch und liebe den Flow. SDD + Vibe Coding haben dennoch etwas in mir verändert:
- Ich schreibe weniger Code.
- Ich treffe mehr Entscheidungen.
- Ich bin mehr Architekt als Tipp-Maschine.
Das fühlt sich zwar neu und gelegentlich noch ungewohnt an. Aber es ist auch unglaublich aufregend, herausfordernd und befreiend!






