
Dieser Tage wird viel über die Digitalisierung gefachsimpelt. Kein Wunder – schließlich ist sie die größte Umwälzung seit der Erfindung der Dampfmaschine und damit natürlich auch Gegenstand für allerhand Dampfplauderei – aber natürlich auch für fachlich versierte Beiträge zur Sache.
Kai Reinhard rollt das Thema Digitalisierung am Beispiel seiner eigenen Unternehmerphilosophie aus und findet entlang der Entwicklungsgeschichte seines Hauses sinnfällige Beispiele dafür, was die Digitalisierung in seinem Leben angerichtet hat – eine schöne Bescherung nämlich, namens Micromata.
Alle Macht ging vom Röhrenmonitor aus
Wie jede gute Story beginnt auch die von Kai Reinhard mit einem schmerzlichen Verlust – dem des Röhrenmonitors. Das Monstrum mit vollständigem Namen Kathodestrahlröhrenbildschirm war damals, anno 1997, nämlich noch das Maß aller Dinge, ein Heilsbringer und Deus ex Machina mit sage und schreibe 20-Megabyte-Festplatte – kurz: eine Gottheit, als deren Jünger und Apostel sich auch die frühen Micromaten verstanden.
Damals war alles noch einfach. Die Old Economy stand Schlange bei der New Economy, große Unternehmen suchten Rat und Hilfe bei uns Computerbeschwörern, alle wollten Teil des großen Abenteuers Internet sein … und wir waren seine Zeremonienmeister. Als solche hatten wir natürlich nicht nur die dickeren Monitore in der Hütte, sondern auch die dickeren Karren davor.
Hochmut kommt vor dem Knall
Dann platzte die Dotcom-Blase. Erst andernorts, dann überall. Und dann wurde es auch für uns Zeit, das Fegefeuer der Eitelkeiten zu beenden und durch eine neue Philosophie zu ersetzen – eine Philosophie der Augenhöhe und der Partnerschaftlichkeit.
Eine kluge Entscheidung. Denn was folgte, war eine beispiellose Beschleunigung. Wenn das Platzen der Blase ein Fanal war, entbrannte jetzt ein Flächenfeuer des Fortschritts. Nach einem kurzen Schockzustand schossen Start-ups plötzlich wie Pilze aus dem Boden, neue Technologien brachen sich in einem Tempo Bahn, das potenziellen Bedenkenträgern keine Zeit zum Widerspruch gestattete – die Digitalisierung war schneller als jeder gesellschaftspolitische Dialog über ihre Folgen.
- Wurde die Papstwahl 2005 noch mit klassischen Kameras fotografiert, waren es 2013 ausschließlich Smartphones.
- Noch während uns das Gewissen plagte, in die Videothek statt ins Kino zu fahren, wurden wir aus dem toten Winkel vom Streamingdienst überholt.
- Als wir noch dachten, StudiVZ sei der neueste heiße Sch***, waren unsere Freunde alle schon auf Facebook unterwegs.
- Gerade noch über das Drehscheibentelefon des Nachbarn auf dem Sperrmüll gelacht, bringen wir unser eigenes Möbel, den Röhrenmonitor (unseren alten Gott!) klammheimlich zum Recyclinghof.
Wer fühlt sich da nicht an die Geschichte vom kleinen David erinnert, der den viel größeren Goliath mit den Mitteln einer intelligenten Technologie – einer Steinschleuder – in die Knie zwingen konnte?
Das ist natürlich auch eine gefühlte Disruptivität. Denn auch in Smartphones, Social Media und Flachbildschirme sind im Vorfeld der Markteinführung ein paar Jahre Entwicklungsarbeit eingeflossen – wenn auf viel weniger als bei der Dampfmaschine. Der Unterschied zu den Fortschrittsbewegungen des analogen Zeitalters liegt vielmehr darin, dass es für die Umsetzung großer Ideen keines großen Kapitals mehr bedarf.
- Anstelle großer Fabriken und teurer Maschinen tritt ein Computer mit Internetzugang.
- Anstelle langwieriger Machbarkeitsstudien tritt eine Just-do-it-Mentalität
- Anstelle teurer Kampagnen zur Markteinführung tritt der Nutzer selbst als Botschafter eines Produkts
Das Zauberwort heißt Agilität
Um der so beschleunigten Entwicklungsdynamik zu entsprechen, bedarf es agiler Strukturen, die sich schnell an sich ändern Bedingungen anpassen lassen. Im Vergleich zu den großen Vertretern der Old Economy sind wir da als mittelständisches Softwarehaus noch immer im Vorteil.
Hinzukommt, dass wir als Pioniere und Akteure der Digitalisierung die Werte der Agilität von Anfang an als selbstverständlich leben. Diese lauten:
Innovationskraft: Softwareentwickler sind Tüftler und Spieler. Sie probieren Dinge aus, sind neugierig, kreativ und lösungsorientiert.
Motivation: Softwareentwickler sind Teamplayer. Sie helfen einander und teilen ihr Wissen in einem lebendigen und niederschwelligen Know-how-Transfer. So schaffen sie sich eine Arbeitsatmosphäre, in der jeder wertgeschätzt wird und entsprechend motiviert ist.
Verantwortung: Softwareentwickler sind stolz auf ihre Fähigkeiten und wollen sich auch vom Kunden an der Qualität ihrer Arbeit messen lassen. So entsteht ein Bewusstsein für den eigenen Anteil am Gesamterfolg.
Als Führungskraft in einem solchen Unternehmen sind sie deshalb kein Leithammel, sondern ein Wegbereiter. Sie schaffen Bedingungen, die diese Werte gedeihen lassen: flache Hierarchien, offene Türen, Partizipation, wenig Bürokratie und eine Dialog- und Mitmachkultur.
Mit diesen Mitteln kann es auch großen Unternehmen gelingen, ihr mächtiges aber schweres Schiff wendiger und manövrierfähiger zu machen: weniger Bürokratie, mehr Agilität, weniger Hierarchien, mehr Miteinander. Und fragen Sie uns um Rat, wenn Sie mögen – wir wissen, wovon wir reden.
Kai Reinhard sprach zu diesem Thema am 23. August 2018 beim Kasseler Lions Club zum Thema und am 24. August 2018 beim Netzwerktreffen von MoWiN.net, des Netzwerks für Mobilitätswirtschaft beim Regionalmanagement Nordhessen. Beide Male wurden seine Ausführungen mit großem Interesse verfolgt und von einem lebhaften Austausch zur Sache begleitet.
Auf dem Bild zu sehen von links: Jan Bettermann (KSV Hessen Kassel) Uwe Scheller (KSV Hessen Kassel), Kai Reinhard (Micromata GmbH), Totti (KSV Hessen Kassel), Jannis Haack (deENet e.V.), Markus Oeste (MoWiN.net e.V.)